ZPD: „Verzeihen, aber nicht vergessen!“ Vielfach ausgezeichneter Holocaustüberlebender Ivar Buterfas-Frankenthal im Dialog mit Führungskräften der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen (ZPD)

Ein weiterer Medieninhalt Auf Initiative von Polizeivizepräsident Uwe Lange hat im Rahmen der diesjährigen Führungskräftebesprechung der Behörde dieser Woche das Bildungsprojekt "Polizeischutz für die Demokratie" breiten Raum eingenommen. "Es ist mir ein Ausdruck besonderer Ehre und Freude, mit Ivar Buterfas-Frankenthal einen echten Zeitzeugen in unserer Runde begrüßen zu dürfen. Wie kaum noch eine andere Person kann unser Ehrengast aus eigenem Erleben über ein düsteres Kapitel unserer Vergangenheit berichten, die für viele von Ausgrenzung, Leid und Grausamkeit geprägt war", so der stellvertretende Behördenleiter in Ankündigung des heute 89-Jährigen, der in Begleitung seiner Ehefrau Dagmar an der Veranstaltung teilnahm. Uwe Lange weiter: "Nur noch wenige Verfolgte des NS-Staates können authentisch darüber berichten, was ihnen seinerzeit an Unrecht und Unmenschlichkeit widerfahren ist. Einer von ihnen ist Ivar Buterfas-Frankenthal. Er wurde am 16. Januar 1933 in Hamburg als Sohn einer Mutter christlichen Glaubens und eines jüdischen Vaters geboren. Das NS-Regime ordnete im selben Jahr die Einweisung seines Vaters in das Konzentrationslager Esterwegen an. Gemeinsam mit seiner Mutter sowie seinen Geschwistern lebte er in seiner Heimatstadt zunächst in einem sogenannten Judenhaus. Im Jahr 1938 wurde er eingeschult, kurz darauf aber der Schule verwiesen, weil er nach NS-Lesart "Halbjude" war. Was folgte, waren Jahre des Versteckens, der Flucht und persönlicher Verfolgung." Vor Jahrzehnten machte es sich der Überlebende zur Lebensaufgabe, bewusst nicht zu schweigen, sondern inzwischen auch als international mehrfach für sein Lebenswerk Ausgezeichneter (u.a. 1995 mit dem Internationalen Weltfriedenspreis sowie 2020 mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland 1. Klasse) über "die Dinge zu sprechen, die niemals in Vergessenheit geraten dürfen". Schon zu Beginn seines Vortrags ist es sprichwörtlich mit Händen zu greifen, dass es mindestens diese eine Erinnerung ist, die Ivar Buterfas-Frankenthal seit mehr als 80 Jahren verfolgt: Damals noch als kleiner Schuljunge, so seine Ausführungen, umringten ihn halbwüchsige Hitlerjungen auf dem Schulhof. Sie stellten ihn auf ein Eisengitter, zündeten Papier an, wollten ihn verbrennen. Nur mit knapper Not sei er seinen Peinigern entkommen. "Ich konnte fortan keine Nacht mehr schlafen. Mich holte auch in vielen Jahren danach die ganze Vergangenheit, die Verfolgung, der Hass in einer Geschwindigkeit ein, dass ich zum meiner Frau gesagt habe: Ich muss was dagegen tun. Ich muss mich befreien, sonst komme ich nicht mehr klar!" Seine Mutter und die Geschwister entgehen in den Folgejahren, ständig auf der Flucht, nur knapp der Deportation. 1942 verliert die Familie, außer der Mutter, die deutsche Staatsbürgerschaft. Doch die 9-köpfige Familie "hält zusammen wie Pech und Schwefel. Für die leidenschaftliche Fürsorge und unbändige Lebensenergie bin ich meiner Mutter immer noch zutiefst dankbar - ebenso für die Liebe und Verbundenheit meiner Frau zu mir." - drehte sich dabei zu seiner Ehefrau und gab ihr vor den Augen der Anwesenden einen innigen Kuss. Für viele war dieser Liebesbeweis ein weiterer "Gänsehautmoment". Verknüpft mit seinen persönlichen Erinnerungen, beginnt Ivar Buterfas-Frankenthal irgendwann damit, jungen Menschen ein Verständnis von Demokratie zu vermitteln - so auch jüngst rund 100 Führungskräften der ZPD. Er schrieb bislang vier Bücher. Mit den Titeln "Sunny Goj", "Mut ist nicht Leichtsinn - Ich musste eine Lücke schließen", "Ich lass´ mich nicht zum Schweigen zwingen" sowie "Von ganz, ganz unten" erzählt er seine Lebensgeschichte. Er engagiert sich zudem für Gedenkorte in Norddeutschland, wie etwa die Gedenkstätte am ehemaligen Straf- und Gefangenenlager Sandbostel. "Es wird immer noch verdrängt. Verdrängen ist leider eine deutsche Tatsache. Und das ist falsch!", fuhr der 89-Jährige fort. Heute werde der Begriff "Halbjude" bereits wieder als böses Schimpfwort genutzt. Auch das Tragen von Davidsternen auf Demonstrationen: "Beides widerwärtige Entgleisungen. Diesen Entwicklungen und anderen demokratiegefährdenden Tendenzen müsse vor allem im Wissen der eigenen Geschichte kompromisslos und entschieden begegnet werden - auch und in besonderer Weise von der Polizei!", brachte Ivar Buterfas-Frankenthal sein persönliches Plädoyer auf den Punkt. Und dann kamen die Fragen, unter anderem: "Warum sind Sie in einem Land geblieben, das Ihnen so weh getan hat?" Über die Antwort muss der Gefragte nicht lange nachdenken: "Ich bin in Deutschland geboren, bin Deutscher, ich liebe dieses Land. Es zu verlassen, hat für mich immer außer Frage gestanden! Wo hätte ich hingehen können? Wo hätte ich Wurzeln schlagen können? Nein! Das war für mich kein Thema!" Und weiter gefragt: "Wie stehen Sie heute zur Institution Polizei, unter der Sie damals so viel Leid erfahren haben?" Seine Antwort dazu: "Wir haben inzwischen die beste Polizei der Welt und ich bin stolz darauf, nun Teil der niedersächsischen Initiative `Polizeischutz für die Demokratie` sein zu dürfen!" Einem beeindruckenden Vortrag folgte noch ein längerer Austausch zu seiner bewegenden Biografie sowie zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen. Sowohl Polizeivizepräsident Uwe Lange als auch Ivar Buterfas-Frankenberg waren sich zum Schluss einig: "Wie schade, dass wir uns mit unseren persönlichen Anliegen nicht schon viel früher kennengelernt haben!"/wo Rückfragen bitte an: Zentrale Polizeidirektion Niedersachsen Pressestelle Telefon: 0511/9695-1004 E-Mail: pressestelle@zpd.polizei.niedersachsen.de