Staatsanwaltschaft Hamburg erhebt Anklage gegen den ehemaligen Justizsenator Dr. Kusch

Hamburg (ots) – Staatsanwaltschaft Hamburg erhebt Anklage gegen den ehemaligen Justizsenator Dr. Kusch

Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat Anklage gegen den ehemaligen Justizsenator Dr. Kusch sowie gegen den weiteren Angeschuldigten Dr. S. wegen gemeinschaftlichen Totschlags der Frau M. und Frau W. in mittelbarer Täterschaft erhoben. Der Angeschuldigte Dr. Kusch ist Vorsitzender des Vereins SterbeHilfeDeutschland e. V. (StHD). Der Angeschuldigte Dr. S. ist Facharzt für Nervenheilkunde und regel-mäßig für den Verein als psychiatrischer Gutachter tätig. Bereits Anfang des Jahres 2012 hatten die Angeschuldigten sich entschlossen, einen Präzedenzfall in der „Sterbehilfe“, nämlich in Bezug auf eine Begleitung bis in den Tod, zu schaffen. Frau M. (81) und Frau W. (85) traten am 06.06.2012 dem Verein bei. Unmittelbar nach ihrem Beitritt wandten Frau M. und Frau W. sich an Dr. Kusch und teilten ihm mit, dass sie eine Selbsttötung erwögen. Dr. Kusch verwies sie an Dr. S. zur Erstellung eines Gutachtens über die Freiverantwortlichkeit der Sterbeentscheidung und „Wohlerwogenheit“ des Wunsches. Die Frauen vertrauten Dr. Kusch als dem Vorsitzenden des Vereins und aufgrund seiner früheren Stellung als Hamburger Justizsenator. Dr. S. führte die Begutachtung gegen ein Entgelt von 2.000,- EUR durch. Er stellte fest, dass die Betroffenen geistig und körperlich rege und sozial gut eingebunden waren und der Grund für ihren Wunsch allein ihre Angst vor dem Altern und dessen Folgen war Dr. S. erkannte, dass beide Damen grundsätzlich zu freiverantwortlichen Entschei-dungen fähig waren. Er entschied, dass sie für den von ihm gesuchten Präzedenzfall geeignet seien. Obwohl die Vereinssatzung eine Unterstützung zur Selbsttötung nur bei hoffnungsloser Prognose, unerträglichen Beschwerden oder unzumutbarer Behinderung vorsieht, die hier offensichtlich nicht vorlagen, und auch in diesen Fällen eine umfangreiche Vorabberatung fordert, beschrieb er fälschlicherweise in seinem am 13.09.2012 ausgefertigten Gutachten den Entschluss der Betroffenen als „wohlerwogen“. Entgegen seinem Auftrag als Arzt und Gutachter und entgegen den Grundsätzen des Vereins klärte er sie nicht auf, dass ihre Gründe für den Selbsttötungswunsch von der Vereinssatzung nicht erfasst waren und zeigte ihnen weder Alternativen noch Beratungsmöglichkeiten auf. Die Betroffenen vertrauten auf die ärztliche Bewertung des Dr. S. und nahmen an, ihre Selbsttötung sei ohne Alternative. Dr. S setzte Dr. Kusch vollumfänglich über die Vorgänge in Kenntnis. Gemeinsam beschlossen sie, die Selbsttötung von Frau M. und Frau W. in Anwesenheit des Dr. S. herbeizuführen. Es kam ihnen darauf an, in Hamburg eine justizielle Entschei-dung über einen Fall der „Hilfe zur begleiteten Selbsttötung“ zu erzwingen. Ihnen war bewusst, dass die Freiheit der Entscheidung von Frau M. und Frau W. mangels Aufklärung nicht ge¬währleistet war und dass die Betroffenen ihre Selbsttötung ohne die Unterstützung der Angeschuldigten nicht durchgeführt hätten. Dr. Kusch ließ die für die Selbsttötung empfohlene Überdosis des verschreibungs-pflichtigen Malariamedikaments Chloroquin durch seine Organisation beschaffen. Dr. Kusch suggerierte Frau M. und Frau W., dass ihr Tötungswunsch den Zielen des Vereins entspräche und ihr Handeln ohne Alternative sei. Auf die Versuche der Betroffenen, ihn telefonisch zu erreichen, reagierte er nicht. Stattdessen traf sich Dr. S. am 22.10.2012 ein weiteres Mal mit den Betroffenen. Hierbei regelte er die Verwendung des Vereinsbeitrages als Spende und riet ihnen – auch insoweit regelwidrig -, ihren Verwandten und Freunden nicht von ihrem Vorhaben zu berichten. Sie vereinbarten den 10.11.2012 als Todestag. Um das Geschehen formal abzusichern, ließen die Angeschuldigten den Betroffenen ein vorformuliertes Formblatt darüber zu¬kommen, dass sie von Dr. S. über einen möglichst sicheren Weg der Selbsttötung beraten worden seien. Zudem verfassten sie nach den Vorgaben des Dr. S. ein Schreiben, in dem sie festlegten, Entgiftungs- und Wiederbelebungsmaßnahmen seien unbedingt zu unterlassen. Das nach den Ethischen Grundsätzen des Vereins vorgesehene Gespräch über alle Möglichkeiten des Weiterlebens fand nicht statt. Als Dr. S. am 10.11.2012 in der Wohnung von Frau M. und Frau W. eintraf, besprach er mit ihnen die getroffenen Vor¬bereitungen für die Tötung. Frau M. zeigte sich darauf schmerzlich betroffen, weinte und haderte gemeinsam mit Frau W. mit ihrer Entscheidung. Erneut wurde Dr. S. deutlich, dass der Entscheidungsprozess der Betroffenen nicht abgeschlossen war. Um die Tötung dennoch durchzuführen, klärte er aber nicht darüber auf, dass seine Diagnose vom 13.09.2012 falsch war. Er fragte lediglich, ob man sich denn sicher sei, womit er gleichzeitig den Umstand, dass die Voraussetzungen für seine Assistenz vorlägen, außer Frage stellte. So suggerierte er ihnen erneut, dass ihre Entscheidung durchdacht und ohne Alternative sei. Entsprechend erklärten die Betroffenen sich zur Selbsttötung bereit und nahmen die Medikamente gemäß den Empfehlungen ein. Zwischen 14:16 Uhr und 14:22 Uhr stellte Dr. S. bei den Betroffenen den Eintritt der Bewusstlosigkeit fest. Hilfs- oder Rettungsmaßnahmen leitete er in dem Willen, den Todeseintritt herbeizuführen, nicht ein. Wenige Minuten später verstarben Frau M. und Frau W. infolge der kardiotoxischen Wirkung des Chloroquin. Dr. S. wartete eine weitere halbe Stunde, um sicher zu gehen, dass der Tod endgültig herbeigeführt war, und informierte erst dann die Feuerwehr, um die beabsichtigten strafrechtlichen Ermittlungen zu erreichen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Angeschuldigten nicht Hilfe zum Sterben leisteten, sondern selbst die Tatherrschaft über die Selbsttötung hatten und die Betroffenen nicht frei von Willensmängeln handelten.

Weitere Auskünfte werden zurzeit nicht erteilt. O-Töne werden gegenwärtig ebenfalls nicht gegeben.

§ 212 StGB – Totschlag (1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Frei-heitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

§ 25 StGB – Täterschaft (1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht. (2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).

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