POL-OLD: Neuer Zwischenstand im Ermittlungsverfahren gegen Niels H.: Polizeidirektion Oldenburg und Staatsanwaltschaft Oldenburg geben weitere Ergebnisse bekannt

25.11.2016 – 09:30

Oldenburg (ots) - Neuer Zwischenstand im Ermittlungsverfahren gegen Niels H.: Polizeidirektion Oldenburg und Staatsanwaltschaft Oldenburg geben weitere Ergebnisse bekannt

Staatsanwaltschaft Oldenburg erhebt Anklage gegen sechs Verantwortliche aus dem ehemaligen Klinikum Delmenhorst wegen Totschlags durch Unterlassen

In den Verfahren zu den Krankenhausmorden in Delmenhorst und Oldenburg sind die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft seit der letzten Unterrichtung der Öffentlichkeit wesentlich vorangekommen. (Siehe dazu die ausführliche Darstellung in der gemeinsamen Pressemitteilung der Polizeidirektion Oldenburg und Staatsanwaltschaft Oldenburg (23/16) vom 22.06.2016)

   I. Ermittlungskomplex Delmenhorst 

1. Ermittlungen gegen Niels H.

Die Ermittlungen zur Zeit des ehemaligen Krankenpflegers Niels H. im ehemaligen städtischen Klinikum Delmenhorst sind nahezu abgeschlossen. Inzwischen liegen die Ergebnisse weiterer sieben toxikologischer Untersuchungen vor. Danach konnte in zwei weiteren Fällen der Wirkstoff Ajmalin im Körper der Verstorbenen nachgewiesen werden. Damit erhöht sich die Zahl der aufgrund der Ermittlungen der SOKO "Kardio" feststellbaren Ajmalinvergiftungen auf 29. Dringender Tatverdacht besteht darüber hinaus in einem weiteren Fall wegen einer versuchten Patiententötung. Diese Tat hat Niels H. inzwischen eingeräumt. Nach wie vor stehen die Ergebnisse von vier im Wege der internationalen Rechtshilfe veranlassten Exhumierungen aus.

Aufgrund der Ermittlungen ist Niels H. außerdem dringend verdächtig in Delmenhorst in zumindest einem Fall auch mit einem anderen Wirkstoff als Ajmalin den Tod eines Patienten herbeigeführt zu haben. Es besteht der dringende Verdacht, dass seine letzte Tat nicht wie bisher angenommen am 22.06.2005 stattfand, sondern zwei Tage später. Niels H. hat zwischenzeitlich gegenüber den Ermittlungsbehörden eingeräumt, an seinem letzten Arbeitstag am 24.06.2005 einer Patientin das Medikament "Sotalex" verabreicht zu haben. Die Patientin verstarb noch am selben Tag. Bei dem Medikament handelt es sich um einen sogenannten Beta-Blocker, der den Wirkstoff Sotalol beinhaltet. Bei einer nicht indizierten Verabreichung kann dieses Medikament gleichfalls wie Gilurytmal (Wirkstoff Ajmalin) zu Herzkreislaufproblemen und zu einem reanimationspflichtigen Zustand führen.

Aufgrund dieser Erkenntnisse ist durch die SOKO geprüft worden, ob auch andere möglicherweise von Niels H. missbrauchte Wirkstoffe, insbesondere Sotalol, ebenso wie Ajmalin durch toxikologische Untersuchungen nachgewiesen werden können. An entsprechenden Verfahren wird durch Experten derzeit noch gearbeitet.

Zusammenfassend ist daher bezogen auf seine Zeit im ehemaligen Klinikum Delmenhorst derzeit von 37 nachweisbaren Tötungsdelikten auszugehen:

   - sechs bereits abgeurteilte Taten, 
   - 29 weitere Ajmalinvergiftungen, die über toxikologische       Untersuchungen belegt wurden, 
   - eine von Niels H. eingeräumte Versuchstat, 
   - eine eingeräumte Tat unter Verwendung des Medikaments "Sotalex". 

2. Abschluss der Ermittlungen gegen Verantwortliche des ehemaligen städtischen Krankenhauses Delmenhorst / Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft

Die Ermittlungen der SOKO "Kardio" sind zu diesem Komplex inzwischen abgeschlossen worden. Zuvor hatte die SOKO aufgrund der neu gewonnenen Erkenntnisse zu der mutmaßlich letzten Patiententötung durch Niels H. die Ermittlungen auf weitere ehemalige Verantwortliche aus dem damaligen Klinikum Delmenhorst ausgeweitet. Bei insgesamt sechs Beschuldigten hat sich der bestehende Verdacht im Zuge dieser Ermittlungen wesentlich erhärtet.

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat daher wegen Totschlags durch Unterlassen Anklage gegen sechs Verantwortliche des ehemaligen Klinikums Delmenhorst erhoben, die dort im Jahre 2005 beschäftigt waren. Ihnen wird vorgeworfen Morde bzw. Mordversuche des ehemaligen Krankenpflegers Niels H. aus der Zeit vom 22.05.2005 bis zum 24.06.2005 nicht verhindert zu haben, obwohl sie solche Taten durch ihn für möglich hielten und obwohl sie aufgrund ihrer jeweiligen Funktion im ehemaligen Klinikum Delmenhorst dazu verpflichtet gewesen wären das Leben dieser Patienten zu schützen. Die Anklage geht davon aus, dass die Angeschuldigten die Taten von Niels H. billigend in Kauf nahmen. Sie sollen aus Angst um die Reputation der Klinik und aus Angst sich dem Vorwurf der falschen Verdächtigung auszusetzen untätig geblieben sein.

Angeklagt wurde der damalige Stationsleiter für den Bereich Pflege der Intensivstation (59) sowie seine beiden damaligen Stellvertreterinnen (56, 60). Außerdem ein damals auf der Intensivstation tätiger Pfleger (47) sowie zwei Oberärzte (58, 67), aus deren damaligen Abteilungen Patienten bei Bedarf auf die Intensivstation verlegt wurden.

Laut Anklage haben mehrere damals im Klinikum Delmenhorst beschäftigte Zeugen angegeben, dass es in der Zeit der Beschäftigung von Niels H. im ehemaligen Klinikum Delmenhorst vom 15.12.2002 bis zum 30.06.2005 immer wieder Verdachtsmomente dahingehend gab, er könne Taten zum Nachteil von Patienten begehen. Den Angeschuldigten sollen spätestens im Mai bzw. im Juni 2005 Geschehnisse bekannt geworden sein, die den schon in der Zeit zuvor mindestens in vager Form existenten Verdacht hinsichtlich der Patiententötungen von Niels H. derart verdichteten, dass sie weitere Taten ernsthaft für möglich hielten und daher zum Einschreiten verpflichtet gewesen wären. Nach der Anklage war das aufgrund konkreter Verdachtsmomente für den 47-jährigen Angeschuldigten (damals Pfleger) und die 60-jährige Angeschuldigte (damals stellvertretende Stationsleiterin) spätestens ab dem 09./10.05.2005 der Fall. Der damalige Stationsleiter soll über entsprechende Informationen spätestens ab dem 23.05.2005 verfügt haben, für die Oberärzte sowie die heute 56-jährige ehemalige stellvertretende Stationsleiterin soll dies ab dem 23.06.2005 der Fall gewesen sein. Spätestens an diesen Tagen sollen die Angeschuldigten jeweils Kenntnis von konkreten Vorfällen im Zusammenhang mit Taten von Niels H. erlangt haben. Das betrifft das Geschehen bzgl. eines am 10.05.2005 nach erfolgloser Reanimation verstorbenen Patienten, nach dessen Tod leere Gilurytmal-Ampullen im Spritzenabwurfbehälter aufgefunden wurden. Im Anschluss daran soll der Verdacht der Täterschaft des Niels H. zunächst zwischen dem 47-jährigen (damals Pfleger) und der 60-jährigen Angeschuldigten (damals stellvertretende Stationsleiterin) und später auch mit dem 59-jährigen damaligen Stationsleiter ausdrücklich erörtert worden sein.

Einen laut Anklage weiteres wesentliches Datum stellt aufgrund des nun von der SOKO ermittelten Sachverhalts der 22.06.2005 dar. Wie vom Landgericht Oldenburg bereits mit Urteil vom 23.06.2008 festgestellt worden ist, verabreichte Niels H. dem Patienten Dieter M. an diesem Tag Gilurytmal, obwohl dieses nicht indiziert war. Herr M. wurde zunächst erfolgreich reanimiert, verstarb aber am 23.06.2005. Bei diesem Geschehen wurde Niels H. von einer damaligen Kollegin auf frischer Tat ertappt. Laut Anklage veranlasste man klinikintern noch am Tag der Entdeckung dieser Tat eine Untersuchung des Blutes von Dieter M., um die Verabreichung von Gilurytmal bzw. des Wirkstoffs Ajmalin durch Niels H. belegen zu können. Von diesen Umständen seien insbesondere auch die beiden Oberärzte sowie die 56-jährige ehemals stellvertretende Stationsleiterin informiert worden. Gleichwohl wurde Niels H. nicht sofort aus dem Dienstbetrieb entlassen. Niels H. sei weder auf die entdeckte Tat angesprochen worden, noch seien andere Maßnahmen ergriffen worden, um weitere Taten durch ihn zu verhindern. Vielmehr sei entschieden worden, dass er bis zum Antritt seines regulären Urlaubs am 24.06.2005 noch zwei weitere Dienste versehen durfte. Aufgrund der Ermittlungsergebnisse der SOKO besteht nun der dringende Verdacht, dass Niels H. in seiner letzten Schicht die Patientin Renate R. mit dem Medikament "Sotalex" tötete.

In der Zeit bis zum 24.06.2005 soll es laut Anklage insgesamt zu drei vollendeten (22.05., 25.05., 24.06.) und zwei versuchten (01.06., 22.06.) Patiententötungen des Niels H. gekommen sein. Die Anklage geht davon aus, dass diese Taten des Niels H. im Falle des gebotenen Einschreitens durch die Angeschuldigten hätten verhindert werden können. Unter Berücksichtigung des Zeitpunktes, zu dem die Angeschuldigten jeweils Kenntnis von den geschilderten Ereignis erlangten und des aus ihrer jeweiligen Stellung im Krankenhaus folgenden Pflichtenkreises werden der 60-jährigen Angeschuldigten fünf, dem 59-jährigen Angeschuldigten vier, dem 47-jährigen Angeschuldigten drei, sowie den weiteren Angeschuldigten jeweils eine Tat zur Last gelegt.

Das Landgericht Oldenburg hat über die Eröffnung des Hauptverfahrens noch nicht entschieden. Für den Tatbestand des Totschlags durch Unterlassen sieht das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf und von höchstens 15 Jahren vor.

II. Ermittlungskomplex Oldenburg

Wie bereits anlässlich der gemeinsamen Pressekonferenz der SOKO "Kardio" und der Staatsanwaltschaft Oldenburg im Juni 2016 mitgeteilt, ist Niels H. außerdem verdächtig, für Todesfälle im Klinikum Oldenburg verantwortlich zu sein. Derzeit besteht dringender Tatverdacht in sechs Fällen, wobei die Ermittlungsbehörden in vier Fällen von Kaliumvergiftungen und in zwei Fällen von Ajmalinvergiftungen ausgehen.

Die Ermittlungen zu möglichen weiteren Taten von Niels H. am Klinikum Oldenburg dauern an. Es wurden bereits über 300 Patientenakten daraufhin überprüft, ob und inwieweit eine mögliche Übereinstimmung der Dienstzeiten von Niels H. mit auffälligen Krankheitsverläufen der Patienten besteht. Die Patientenakten stammen sowohl aus der Zeit seiner Beschäftigung auf der Kardio-Intensivstation als auch aus der Zeit seiner Beschäftigung in der Anästhesie. Nach Auswertung dieser Unterlagen wurden über 100 staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts von Tötungsdelikten gegen Niels H. eingeleitet. Die Auswertung der Krankenunterlagen durch einen von der Staatsanwaltschaft beauftragten medizinischen Sachverständigen dauert noch an. Aufgrund einiger bereits vorliegenden Gutachten sind durch die Staatsanwaltschaft weitere Exhumierungsbeschlüsse erwirkt worden, die von der Sonderkommission "Kardio" aktuell umgesetzt werden. Während der Adventszeit und der bevorstehenden Feiertage werden jedoch keine Exhumierungen stattfinden.

Die SOKO "Kardio" plant, die Ermittlungen zu möglichen Taten von Niels H. im Klinikum Oldenburg mit Ablauf der ersten Jahreshälfte 2017 abzuschließen. Da die Ermittlungen gegen die Verantwortlichen aus diesem Krankenhaus in direktem Zusammenhang zu diesen Ermittlungen stehen, dauern diese ebenfalls noch an.

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Mathias Kutzner

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Martin Rüppell

Staatsanwaltschaft Oldenburg
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