Freiburg: Ein offener Brief des Polizeipräsidenten Franz Semling als Antwort auf das Schreiben der Stadtratsfraktionen JUPI und Eine Stadt für Alle
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr ***,
zunächst vielen Dank für Ihren offenen Brief vom 23. Juni 2021, in dem Sie Ihr Interesse an der Sicherheit in der Stadt Freiburg zum Ausdruck bringen. Sicherheit ist ein Grundbedürfnis, das insbesondere durch Straftaten in der Öffentlichkeit erschüttert werden kann.
Sicherheit ist aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Klar ist, dass die Polizei der zentrale Akteur auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit ist. Richtig und wichtig ist aber auch ein gutes und vertrauensvolles Zusammenspiel mit der Stadt Freiburg, z.B. dem Vollzugsdienst, mit den städtischen Ämtern, mit den Kommunalverantwortlichen und selbstverständlich mit den Bürgerinnen und Bürgern.
Die von Ihnen erwähnten Vorfälle am 12. Juni 2021 haben auch mich sehr betroffen gemacht. Deshalb ermitteln spezialisierte Ermittlerinnen und Ermittler des Polizeipräsidiums Freiburg in beiden Fällen neutral, mit der gebotenen Sorgfalt und ergebnisoffen.
Die Ermittlungen zu dem Vorfall im Stadtteil Stühlinger stehen kurz vor dem Abschluss. Hierzu hat das Polizeipräsidium Freiburg am 24. Juni 2021 eine Pressemitteilung veröffentlicht.
Der Sachverhalt im Heldenviertel befindet sich in einem Ermittlungsstatus, der noch keine valide Aussage zum tatsächlichen Ablauf der Geschehnisse zulässt. Das von Ihnen erwähnte Verfahren gegen dieselbe Person ist ebenfalls noch nicht abgeschlossen. Wir folgen als Polizeipräsidium Freiburg bei Ermittlungen dem Grundsatz, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht, da sich viele Sachverhalte, dem Rechtstaatsprinzip folgend, erst nach Würdigung aller Sach- und Zeugenbeweise abschließend beurteilen lassen.
Das Polizeipräsidium Freiburg beobachtet die Sicherheitslage fortwährend, umfassend und aktuell. Außerdem richten wir insbesondere bei politisch motivierten Straftaten unseren Blick in alle Bereiche, um in Abhängigkeit und Bewertung der konkreten Lage angepasste polizeiliche Maßnahmen treffen zu können. Die Zahlen des Jahres 2020 im Bereich der politisch motivierten Kriminalität (PMK) sprechen für Freiburg eine deutliche Sprache. Von insgesamt 162 Straftaten der politisch motivierten Kriminalität sind 106 dem Phänomenbereich links und 31 dem Bereich rechts zugeordnet. Die weiteren Straftaten verteilen sich auf die anderen Phänomenbereiche oder konnten nicht zugeordnet werden.
Die Anzahl der Straftaten im 1. Halbjahr 2021 entspricht annähernd denen des Vorjahres. Eine signifikante Abweichung ist nicht feststellbar. Ebenso ist eine Konzentrierung der Straftaten auf bestimmte Tatverdächtige und Opfer oder eine Steigerung der Deliktsqualität nicht erkennbar. Eine strukturelle Szene, die für rechte und politisch motivierte Straftaten verantwortlich ist, können wir in Freiburg derzeit nicht feststellen.
Ausweislich des Sicherheitsberichts 2020 Baden-Württemberg gilt auch für die Stadt Freiburg, dass "die politisch rechts motivierte Kriminalität (PMK rechts) auf einem antisemitischen, fremdenfeindlichen und sozialdarwinistischen Weltbild beruht und die rechte Szene eine Affinität zu Waffen und Sprengstoff hat, die besorgniserregend ist". Dieses erhebliche Gefährdungspotenzial, das sich auch in den Anschlägen von Kassel, Hanau und Halle gezeigt hat, ist nach unserer Bewertung auch Anlass, weiterhin wachsam zu sein.
Jede Straftat im rechts motivierten politischen Bereich ist auch für uns eine Straftat zu viel. Dieser Maßstab gilt aber auch für Straftaten aus dem linken extremistischen Bereich, die wir ebenfalls zu verzeichnen hatten. Nur beispielhaft möchte ich hier die Brandanschläge auf Fahrzeuge einer Immobilienfirma nennen, die sich im vergangenen Jahr in Freiburg ereignet hatten.
Differenziert müssen wir das Phänomen der sogenannten Querdenker-Bewegung betrachten. Obwohl in diesem Bereich Überschneidungen mit der rechten Szene vorhanden sind, stellt sich die Situation in Freiburg so dar, dass Straftaten überwiegend beim Zusammentreffen mit dem politischen Gegner im Rahmen von Versammlungen festzustellen sind. Eine grundsätzliche Gefährdung der Bevölkerung oder staatlicher Institutionen, ausgehend von einzelnen Strömungen der Kritiker der Corona-Maßnahmen, ist für Freiburg nicht erkennbar. Hinsichtlich Ihres Hinweises auf die Inhalte der Querdenken-761 Listen werden sich Ermittlerinnen und Ermittler des Polizeipräsidiums Freiburg zeitnah mit Ihnen in Verbindung setzen.
Ich kann Ihren Wunsch nach einer möglichst schnellen und proaktiven Unterrichtung der Öffentlichkeit gut nachvollziehen, vertrete aber die Auffassung, dass die Polizei über einen Sachverhalt öffentlich nur berichten kann, wenn es gesicherte Erkenntnisse gibt. In dem von Ihnen genannten Fall im Stühlinger wurden mittlerweile 20 Zeugenvernehmungen durchgeführt, um diesen komplexen Sachverhalt aufzuhellen.
Ich versichere Ihnen, dass wir mögliche diskriminierende, fremdenfeindliche oder extremistische Einstellungen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten des Polizeipräsidiums Freiburg vorbehaltlos ermitteln und konsequent strafrechtlich und dienstrechtlich aufklären.
Gerne stehe ich Ihnen und den Mitgliedern Ihrer Fraktionen zu einem offenen Austausch über die Sicherheitslage in Freiburg zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Franz Semling
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