Ein Tag im Leben eines Callcenter-Mitarbeiters
22.04.2021, PP Schwaben Süd/West
Ein Tag im Leben eines Callcenter-Mitarbeiters
PP SCHWABEN SÜD/WEST. Eine Warnung vorab: Entgegen sonstiger Meldungen der Polizei könnte sich der nachfolgende Sachverhalt nicht exakt wie geschildert zugetragen haben. Das PP Schwaben Süd/West möchte dennoch den Fleiß und das Engagement einer Berufsgruppe einmal besonders hervorheben.
+++ HINWEIS: Der Text stellt Anrufversuche dar, die sich tatsächlich am 20.04.2021 im Zuständigkeitsgebiet des PP Schwaben Süd/West zugetragen haben. Die Sachverhalte stehen vermutlich allerdings NICHT wie nachfolgend geschildert in direktem Zusammenhang. +++
Um die harte und anstrengende Arbeit eines Callcenter-Mitarbeiters einmal zu würdigen, möchte das Polizeipräsidium exemplarisch einen Arbeitstag am Beispiel des Dienstags dieser Woche nachzeichnen und die Herausforderungen sowie die Flexibilität der Anrufer beleuchten.
OBERSTAUFEN, LKR. OBERALLGÄU. Der Arbeitstag des Anrufers beginnt in Oberstaufen. Gegen 10:45 Uhr ruft er bei einer Frau an. Er muss sich nun genau an sein Skript halten, sich konzentrieren und darf keinen Fehler machen. Er ist vorgeblich der Enkel der angerufenen Frau. Und es kommt noch schlimmer: Der Anrufer hat einen Verkehrsunfall erlitten. Also kehrt er im Gespräch seine emotionalste Seite hervor, um dann nonchalant 14.000 Euro zu fordern, da ihm sonst Ungemach droht.
Bereits wenig später, gegen 11:30 Uhr, der nächste Anruf. Nun ist er in FÜSSEN im LKR. OSTALLGÄU gelandet. Gut, dass er im vorherigen Telefonat schon seine Emotionen trainiert hat. Denn nun muss er eine schockierende Nachricht überbringen. Und, um die Messlatte noch höher zu legen, schlüpft er auch noch in die Rolle eines gestandenen Kripo-Kommissars. Ein Sohn der Angerufenen hätte ein Kind bei einem Unfall tödlich verletzt. Nach dieser Nachricht auch hier wieder der geschickte Übergang hin zur Forderung. Mit 20.000 Euro Kaution lässt sich die Sache für den Angerufenen wieder hinbiegen, so der angebliche Polizist.
Szenenwechsel, LKR. UNTERALLGÄU, MINDELHEIM. Nun macht sich die Übung bezahlt. Gegen 11:50, die Taktung ist weiter sehr streng, frägt der Anrufer eine Seniorin: „Hallo Oma, kennst du mich nicht?“. Die Geschichte des Verkehrsunfalls sitzt, nun fordert der vermeintliche Enkel 26.000 Euro für ein Eilgutachten. Ein Gutachten, eher ein trockenes, beamtentypisches Thema. Perfekt, wenn man noch kurz zuvor vorgeblich bei der Kripo gearbeitet hatte.
Kurze Mittagspause, danach geht es nahtlos weiter, der Anrufer will nicht lockerlassen. Gegen 13:45 Uhr meldet er sich im beschaulichen KRUMBACH im LKR. GÜNZBURG. Trotz des schweren Magens vom Essen darf der Mitarbeiter jetzt keinen Fehler machen. Es kommen neue Charaktere ins Spiel: Ein Rechtsanwalt, sogar mit Doktorgrad. Auch hier wieder ein Polizeibeamter. Perfekt, dass mittlerweile die vielgeübte Geschichte mit dem Verkehrsunfall sitzt, diesmal passiert in Polen, dann brennt zumindest da nichts mehr an. Also schnell die Forderung überbracht: 20.000 Euro, damit die Gefängnisstrafe im Ausland erspart bleibt. Das Geld wird von der Polizei an der Türe abgeholt. Perfekt für den Angerufenen. Service, wie man ihn sich wünscht.
Erschöpft von so vielen Telefonaten übergibt der Anrufer nun an seine Kollegin. Gegen 15:10 Uhr meldet sie sich in WEIßENHORN, LKR. NEU-ULM. Die Kollegin drückt auf die Tränendrüse, klingt weinerlich. Die Geschichte mit dem Verkehrsunfall hat sich bewährt, warum also etwas Neues erfinden? Wieder ist angeblich eine Person bei einem Verkehrsunfall zu Tode gekommen, 20.000 Euro Kaution. Diese Forderung stammt von einer dritten Anruferin, einer angeblichen Polizistin. Die Erschöpfung macht sich bei den Anrufern nun offensichtlich doch langsam breit…
So endet der lange und anstrengende Arbeitstag unserer emsigen und bemühten Callcenter-Mitarbeiter. Heute hat es nicht geklappt, obwohl sie sich wirklich richtig angestrengt haben. Keiner der Angerufenen wollte Geld locker machen. Dabei haben sie doch fleißig geübt: Rechtsanwalt, Polizist, sogar Kripobeamter, die Enkel natürlich nicht zu vergessen – alles hat gepasst.
Aber Callcenter-Mitarbeiter wären keine Callcenter-Mitarbeiter, wenn sie sich von solchen kurzzeitigen Rückschlägen aus dem Konzept bringen lassen würden. Vielleicht, so denken sie sich, sollten sie den Angerufenen morgen wieder versprechen, dass sie bei einem Gewinnspiel gewonnen hätten. Um das Preisgeld zu erhalten, sind nur klitzekleine Gebühren fällig…
+++ HINWEIS: Der Text stellt Anrufversuche dar, die sich tatsächlich am 20.04.2021 im Zuständigkeitsgebiet des PP Schwaben Süd/West zugetragen haben. Das Präsidium registrierte insgesamt 13 Anrufversuche aus den Phänomenbereichen „Falsche Polizeibeamte“, „Enkeltrick“ und „Schockanrufe“. In allen Fällen erkannten die Angerufenen den Betrug und beendeten das Telefonat.
Die oben genannten Anrufe erfolgen nicht alle durch ein Callcenter, üblicherweise sind die Mitarbeiter auf einen Phänomenbereich spezialisiert.
Im Jahr 2020 verzeichnete das Polizeipräsidium folgende Zahlen:
• Falsche Polizeibeamte: Durchschnittlich 113 Anrufe pro Monat, mehr als 400.000 Euro Schaden
• Enkeltrick: Durchschnittlich 9 Anrufe pro Monat, mehr als 100.000 Euro Schaden
• Schockanruf: 2020 noch nicht statistisch erfasst, das Phänomen tritt seit 2021 wieder verstärkt auf
• Gewinnversprechen: Durchschnittlich 23 Anrufe pro Monat, mehr als 90.000 Euro Schaden +++
(PP Schwaben Süd/West, 14:40 Uhr, hs)
Medienkontakt:
Pressestelle beim Polizeipräsidium Schwaben Süd/West, D-87439 Kempten (Allgäu),
Rufnummer (+49) 0831 9909-0 (-1012/ -1013).