Durch einen Klick zum Straftäter – drastische Gesetzesverschärfung zur Bekämpfung der sexualisierten Gewalt
16.07.2021, PP Niederbayern
Durch einen Klick zum Straftäter – drastische Gesetzesverschärfung zur Bekämpfung der sexualisierten Gewalt
NIEDERBAYERN. Schnell einmal ein Bild aus der Freundesgruppe in WhatsApp angeklickt, oder ohne sich Gedanken zu machen, ein Bild selbst weitergeleitet. Sollte es sich bei den empfangenen oder weitergeleiteten Bildern um kinderpornografische Dateien handeln, so kann dies schwerwiegende Konsequenzen für den Smartphone Nutzer, aber auch für den Inhaber eines Internetanschlusses haben.
Die Gesetzesverschärfung zum 01.07.2021 bedeutet konkret, dass bereits der Besitz von „nur“ einem kinderpornographischen Bild oder Video mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet wird. Die Strafandrohung entspricht in etwa den zu erwartenden Strafen für einen Raub oder eine schwere Körperverletzung. Die sichergestellten elektronischen Geräte mit kinderpornografischen Inhalten werden im Laufe des Strafverfahrens regelmäßig eingezogen und der Vernichtung zugeführt.
Häufig ist es einfach Unwissenheit, keine oder kaum vorhandene Medienkompetenz der Generation „Smartphone“, die die Fallzahlen im Deliktsbereich „Besitz und/oder Verbreiten von Kinderpornografie“ bei den niederbayerischen Kriminalpolizeidienststellen, bereits durch die letzte Novellierung des Sexualstrafrechts erheblich steigen ließen.
Der Leiter der Landshuter Kripo– erhebliche Zunahme der Verfahren
„Fast schon täglich sind unsere Ermittler beim Vollzug von Durchsuchungsbeschlüssen im Einsatz, wir verzeichnen eine erhebliche Zunahme der Ermittlungsverfahren in diesem Bereich. Es ist zu befürchten, dass die neue Gesetzesverschärfung, die zum 01.07.2021 in Kraft getreten ist, zu einer weiteren Zunahme der Verfahren führen wird“, so Kriminaldirektor Werner Mendler, Leiter der Kriminalpolizeiinspektion Landshut
Die Staatsanwaltschaft Landshut weist darauf hin, dass den Tätern durch die Gesetzesverschärfung deutlich höhere Strafen drohen. Jeder, der solche Dateien besitzt oder verbreitet läuft Gefahr, sich seine Zukunft zu verbauen. Eine Verurteilung wird – etwa wenn man Lehrlinge ausbildet oder sich für den Staatsdienst bewirbt – auch berufliche Konsequenzen haben. Dies gilt ausdrücklich auch, wenn es sich bei den Dateien um schlechte Scherze oder vermeintlich „witziges“ Material handelt.
Kein Kavaliersdelikt, so der Passauer Kripo-Chef
Auch der Leiter der Kriminalpolizeiinspektion Passau, Kriminaldirektor Michael Krickl gibt zu bedenken, dass hinter den Bildern bzw. Stickern reale Opfer Leid erfahren haben. So betont nun die Strafverschärfung, dass es sich um kein Kavaliersdelikt oder einen Scherz handelt. Der mündige und verantwortungsbewusste Umgang mit diesen digitalen Inhalten sollte daher auch den minderjährigen Nutzern sowie der Eltern ein großes Anliegen sein. Die Kripo Passau wird diesen Arbeitsbereich personell verstärken, um die Anzeigen mit Nachdruck verfolgen zu können, so Krickl.
US- Provider melden Fälle an deutsche Ermittlungsbehörden
Häufig haben die Verfahren im Zusammenhang mit Kinderpornografie ihren Ursprung in den USA, die i. d. R. über die halbstaatliche Organisation NCMEC (National Center for Missing & Exploitet Children), bekannt werden. US-amerikanische Internetdienstleister sind gesetzlich verpflichtet, u. a. indizierte Bilddateien und in diesem Zusammenhang bekanntgewordene Straftaten zu dokumentieren und zu melden. Die Meldung derartiger Fälle an deutsche Ermittlungsbehörden führt auch immer häufiger in ganz Niederbayern zu entsprechenden kriminalpolizeilichen Ermittlungsverfahren und Wohnungsdurchsuchungen.
Kripo Landshut durchsucht Wohnung
Über eine Meldung der NCMEC geriet z.B. ein 20-Jähriger aus dem Landkreis Landshut ins Visier der Ermittlungsbehörden. Er steht im Verdacht seit mehreren Jahren zahlreiche kinderpornografische Dateien gesammelt und verbreitet zu haben. Die Auswertung der bei der Durchsuchung Anfang Juni 2021 sichergestellten Datenträger dauert noch an. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erging zwischenzeitlich Haftbefehl gegen den 20-Jährigen. Er befindet sich seit Anfang Juni 2021 in Untersuchungshaft.
Deutliche Zunahme der Fallzahlen – rund 13 Prozent der Tatverdächtigen unter 14 Jahren
Zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung traten zum 01.07.2021 wesentliche Strafverschärfungen in Kraft. So wurden z. B. Tathandlungen, die bisher lediglich den Tatbestand der Beleidigung auf sexueller Grundlage erfüllten, neu geschaffenen Tatbeständen im Bereich des Sexualstrafrechts zugeordnet. Andere Delikte, bspw. Verbreitung, Erwerb oder Besitz von Kinderpornografie, wurden zu Verbrechenstatbeständen mit einer Mindeststrafe von 1 Jahr bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe hochgestuft.
2020 resultierte, wie schon im Jahr zuvor, der Anstieg der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von 714 auf 922 Fälle (+ 29 Prozent) vornehmlich auf dem Phänomen des Verbreitens pornografischer Schriften. Während 2019 insgesamt 206 Pornografiedelikte angezeigt wurden, ergab sich für 2020 wieder eine Steigerung um rund 160 Fälle (+ 78 Prozent) im Bereich des Polizeipräsidiums Niederbayern.
Erhebliche Konsequenzen auch bei Strafunmündigen – Handys mit verbotenen Inhalten werden eingezogen
Erwähnenswert ist dabei der Anteil von 103 strafunmündigen Tatverdächtigen unter 14 Jahren. Ein möglicher Erklärungsansatz hierfür kann zum einen die pandemiebedingte, verstärkte Nutzung der sozialen Medien, insbesondere durch Kinder und Jugendliche sein, aber auch das fehlende Unrechtsbewusstsein im Versenden und Weiterleiten von strafrechtlich relevantem Bild- und Videomaterial.
Auch bei Strafunmündigen drohen erhebliche Konsequenzen: Gegen die Anschlussinhaber, das sind meistens die Eltern, wird ein Durchsuchungsbeschluss beantragt. Sind auf dem Handy verbotene Inhalte gespeichert, wird es – unabhängig von der Strafmündigkeit – eingezogen.
Diese Kriminalitätsphänomene wurden nicht durch die Corona-Pandemie verursacht. Jedoch hat die Einschränkung von persönlichen Kontakten eine verstärkte Nutzung des Internets und der sozialen Medien bewirkt
Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft betonen, dass der Besitz und das Verbreiten von Kinder- und Jugendpornografie kein Kavaliersdelikt, sondern ein Verbrechen ist. Der Tatbestand kann mit nur einem falschen Klick oder Mitgliedschaft in einer zwielichtigen Chatgruppe schnell erfüllt werden. Deshalb warnt die Polizei vor solchen pornographischen Inhalten und gibt zu bedenken, dass für derartige Bilder und Videos Kinder misshandelt und missbraucht werden. Auch wenn manche Bilder und Videos vermeintlich scherzhaft aufgemacht werden, gibt es reale Opfer. Deshalb macht man sich auch mit solchen Dateien strafbar.
Verhaltensempfehlungen
Notwendigkeit der Mitgliedschaft in unübersichtlichen Chatgruppen prüfen
Automatische Speicherung von Bild- und Videodateien deaktivieren
Beim Online-Flirt das tatsächliche Alter von Gesprächspartnern kritisch hinterfragen
Eltern sollen die richtige Balance zwischen der Privatsphäre und dem Schutz ihrer Kinder finden. Ggf. müssen Handys täglich kontrolliert und Online-Zeiten eingeschränkt werden
Bei pädophilen Neigungen wenden Sie sich (anonym) an Hilfsorganisationen, z. B. www.kein-taeter-werden.de
Sie haben eine solche Datei bekommen?
Inhalte nicht löschen, sondern unbedingt sofort zur Polizei gehen!!!
In der Gruppe schreiben, dass man sich von solchen Inhalten distanziert und nicht bekommen will, dann ist es „dokumentiert“
Die Gruppe nach der Anzeigenerstattung unverzüglich verlassen
Projekt „Dein Smartphone, Deine Entscheidung“
Weitere Informationen für Eltern, Lehrer und Schüler zum Thema finden Sie auf der Internetseite der Bayerischen Polizei zum Projekt „Dein Smartphone – Deine Entscheidung“ unter der
Linksammlung
"Dein Smartphone, Deine Entscheidung"
Ziel dieses bayernweiten Projektes ist es, insbesondere Schüler über die strafrechtlichen Aspekte zu informieren und die daraus resultierenden möglichen Folgen zu erläutern. Nicht nur die Kinder und Jugendlichen werden im Rahmen des Projektes informiert, sondern auch die Eltern. Diese übernehmen einen wichtigen Erziehungsauftrag bei der Entwicklung der Medienkompetenz ihrer Kinder.
Medienkontakt: Polizeipräsidium Niederbayern, Tel. 09421/868-1014
Veröffentlicht: 16.07.2021, 09.30 Uhr