Pressemitteilung der Polizeiinspektion SZ/PE/WF vom 21.09.2022.
Am 20.09.2022 fand in Salzgitter in der Kulturscheune eine mit ca. 100 geladenen Gäste organisierte Präventionsveranstaltung der Extremismusprävention Salzgitter statt. Die Stadt Salzgitter, der örtliche Präventionsrat und die hiesige Polizei haben in ihrer Funktion als Lenkungskreis bereits zum vierten Mal alle Netzwerkpartner zum Thema Extremismus eingeladen.
Frau Claudia Kramer (Beauftragte für Jugendsachen in der Polizeiinspektion Salzgitter/Peine/Wolfenbüttel) und Herr Andreas Reichelt (Fachdienst Bildung in der Stadt Salzgitter) moderierten die Veranstaltung zum Thema Rechtsextremismus. Eine Hauptaufgabe des Netzwerkes ist die Information und Sensibilisierung über neue Phänomenbereiche.
Die bisherigen Veranstaltungen der Extremismusprävention informierten über die Themen Salafismus und Verschwörungstheorien.
Die offiziellen Begrüßungsworte der Stadt Salzgitter überbrachte Herr Dr. Dirk Härdrich als Stadtrat der Stadt Salzgitter und Dezernent des Dezernates IV (Bildung, Soziales und Integration).
Herr Dr. Härdrich bezog sich hierbei auf die Vielfalt des Extremismus und stellte eine klare Abgrenzung zum Populismus heraus.
Als erster Referent wurde ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes angekündigt. Sein Vortrag lieferte Informationen zum Phänomenbereich des Rechtsextremismus unter Darlegung von Ursachen und Erscheinungsformen.
In dem Bereich der sog. "neuen Rechten" findet seit geraumer Zeit eine dynamische Entwicklung statt, die gerade in jüngster Zeit insbesondere im Bereich der Querdenker und der sog. Delegitimierer festzustellen war. In diesem Milieu kommt oft zu einer Vermischung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, auch aus dem Bereich der bürgerlichen Mitte.
Es wurde die Frage aufgestellt, wie eine Gesellschaft mit einer Radikalisierung umgeht. Eine Radikalisierung wird als Prozess beschrieben, der auch in den Bereich Extremismus übergehen kann. Bei extremistischen Bestrebungen soll als zentrales Element der Staat überwunden werden.
Oft kommt es zu einer Überbewertung der eigenen Nation bei gleichzeitiger Abwertung anderer mit einer Verharmlosung oder Verherrlichung der Verbrechen im 2. Weltkrieg. Fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Einstellungen werden propagiert. Es wird eine Forderung aufgestellt nach kultureller Trennung der verschiedenen Ethnien.
Grundsätzlich kann die Aussage getroffen werden, dass der potentielle Personenkreis auf Bundesebene ansteigend ist.
Aktivisten und Sympathisanten finden sich in rechtsextremistischen Netzwerken wieder, beispielhaft können das Kameradschaften, Parteien oder auch andere militante neonazistische Organisationen sein.
Angehörige der sog. "alten Rechten" skandieren oft menschenverachtende Parolen und artikulieren sich mit dem Wortgebrauch aus der NS Zeit.
Die Bedeutung von Musik hat in dieser Szene nach wie vor einen hohen Stellenwert. Bei rechtsextremistischen Musikveranstaltungen finden Vernetzungen der Teilnehmer, Mobilisierungen untereinander sowie Rekrutierungsversuche junger Teilnehmer statt.
Durch die Musik soll bei Jugendlichen ein Interesse für die Szene geweckt werden, um ihnen den Weg in den Rechtsextremismus zu öffnen.
Bei Kundgebungen von Parteien kommt es immer wieder zu provozierenden und einschüchternden Handlungen, die sich oft gegen die Asyl- und Flüchtlingspolitik richtet.
Erkennbar ist auch, dass sich Angehörige der rechtsextremistischen Szene vermehrt beim sog. "Gaming" wiederfinden. Das heißt nicht, dass man die gesamte Gaming-Szene unter einen Extremismus General-Verdacht stellen sollte. Digitale Infrastrukturen ermöglichen es, Propaganda der rechten Szene zu verbreiten. Hierdurch erfolgt das Anwerben und die Rekrutierung neuer Mitglieder. Oftmals verstecken sich die Protagonisten hinter einer Art Satire. Es werden z.B. Foren und Gruppenportale vorgehalten. Die Extremisten kommen in einen Dialog, verbunden über das Spielerlebnis. Hierbei nutzt der Personenkreis eine eigene Sprache, Gruppenbilder, Posen oder auch Spielefiguren, um ihre Identität zu finden. Gaming-Communitys können bei einer Radikalisierung und einer Rekrutierung eine nicht unerhebliche Rolle spielen.
Durch sogenannte Filterblasen können Informationen für den Teilnehmerkreis personalisiert werden.
Die Plattformen bieten Möglichkeiten an, um auffällige Personen den Behörden zu melden.
Durch sogenannte Verschwörungstheorien können populistische Bewegungen gestärkt werden, was zur Folge hat, dass antidemokratisches Denken gefördert wird.
Als zweite Referentin wurde Frau Borchardt, Leiterin PPMK (Politisch motivierte Kriminalität) im LKA Niedersachsen angekündigt.
Die Referentin beschrieb den Bereich der PPMK als eine zentrale Service- und Anlaufstelle der Polizei im Bereich der Extremismusprävention. Das erklärte Ziel ist für die Gefahren, die beim Extremismus entstehen, zu sensibilisieren. Menschen sollen vor einer Radikalisierung bewahrt werden.
Sowohl polizeiliche als auch wissenschaftliche Expertisen werden verbunden.
Jeder konkrete Fall wird einer einzelfallbezogenen präventiven Bearbeitung und Betrachtung unterzogen. Insbesondere bei einer drohenden oder bereits vollzogenen Radikalisierung von Personen ist das Vorhandensein guter Netzwerke bis auf kommunaler Ebene wichtig.
Für eine ganzheitliche Betrachtung der Gefahrensituation lädt die PPMK zu sogenannten Fallkonferenzen ein, damit alle beteiligten Institutionen einen einheitlichen Sachstand erhalten. Präventionsmaßnahmen werden untereinander abgestimmt und gemeinsame Ziele entwickelt.
Insbesondere sind verlässliche Meldewege und Strukturen bei den Organisationen von großer Bedeutung, damit auffällige Personen schnell erkannt werden können.
Es ist in diesem Zusammenhang die Aussage wichtig, dass die Polizei als "ein" Akteur neben vielen privaten und behördlichen Einrichtung gesehen wird.
Niemand darf die Augen vor dem Problem Extremismus schließen.
Als dritter Referent wurde ein Mitarbeiter des Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport (Verfassungsschutz) angekündigt. Er stellte sich als Leiter der Aktion Neustart das Aussteigerprogramm Extremismus vor. Es handelt sich hierbei um das Aussteigerprogramm des Niedersächsischen Verfassungsschutzes (https://www.aktion-neustart.de).
Der Beginn der Aktion Neustart fand bereits im November 2010 statt, Erweiterungen zu diesem Programm gab es in den Jahren 2016 und 2019.
Die relevanten Phänomenbereiche sind Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus, Extremismus mit Auslandsbezug sowie im Bereich der Scientology-Organisation. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Nennung des § 16 NVerfSchG, wonach es eine strikte Trennung von der Beschaffung von Informationen und den rechtlichen Grundlagen aus § 3 NVerfSchG gibt.
Ein multiprofessionelles Team aus Vertretern von Polizei, der Psychologie, der Politologie, der Pädagogik und anderen kann den aus der Szene aussteigewilligen Personen beratend und unterstützend zur Seite stehen.
Es bestehen in der Entwicklung von Menschen psychologische Grundmuster, die sich auf eine Radikalisierung auswirken. Nach Aussage von Aussteigern kam es bereits in der Kindheit zu einer Vernachlässigung der Betroffenen. Die Personen sind oft ohne Vater oder in einem Heim aufgewachsen. Im Elternhaus waren die Kinder auf sich alleine gestellt oder die Eltern lebten in einer Abhängigkeit berauschender Mittel.
Das Leben in der Familie war geprägt von Perspektivlosigkeit, Sinnlosigkeit und auch von Depressionen. Die Kinder wurden teils gemobbt und es kam zu Schulabbrüchen. Somit war bereits der Weg in eine Form des Extremismus geebnet und es wurden im Verlauf des Lebens andere für die kognitive Dissonanz verantwortlich gemacht. Extremisten glauben, dass ihre Handlungen richtig sind.
In den extremistischen Gruppen treffen gleichgesinnte aufeinander und finden dort eine Art Familienersatz, Respekt und Anerkennung.
Personen, die entsprechend aus der Szene aussteigen möchten, haben entweder ihren Aussteigerwillen bereits geäußert oder können über eine Onlineberatung oder auch proaktiv erreicht werden.
In jedem Fall ist bei den aussteigewilligen Personen und den beratenden Gremien eine vertrauensvolle Beziehungsebene wichtig, um Hilfsangebote anbieten zu können. Diese können zum Beispiel eine Alltagshilfe sein, aber auch bei Themen wie soziales Umfeld, Beruf, Wohnung, erkennbaren Drogenproblemen oder das Entfernen von extremistischen Tätowierungen kann Hilfe angeboten werden.
Der Abschluss eines Ausstieges kann mehrere Jahre andauern und wird, gerade in der Anfangszeit, von mehreren Ausstiegsgesprächen in der Woche begleitet.
Zum Abschluss der Veranstaltung dankte der Leiter der Polizeiinspektion Salzgitter/Peine/Wolfenbüttel, Herr Volker Warnecke, allen Akteuren und machte deutlich, dass Extremismus eine ganzheitliche gesellschaftliche Aufgabe ist, die nur im Zusammenwirken aller Akteure und Institutionen bekämpft werden kann.
HINWEIS: Eine Freigabe von Bildern von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes erfolgt nicht!
Rückfragen bitte an:
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