Völkermord an Sinti und Roma: „Ausstellung im Polizeipräsidium ist eine Einladung mutig zu ein“
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Lfd. Nr.: 0501
Die europäische Dimension des nationalsozialistischen Völkermords an den Sinti und Roma stand im Mittelpunkt des 5. Tags der Werteorientierung und einer Fortbildung des Polizeipräsidiums Dortmund.
An dem Tag nahmen 200 Beschäftigte der Polizei und mehr als 200 Schülerinnen und Schüler des Stadtgymnasiums und des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums (KKG) in der Aula am Ostwall teil. Beide Schulen sind gesellschaftlich und in der Erinnerungsarbeit herausragend engagiert.
Tage der Werteorientierung gestalten das PP Dortmund und das Multikulturelle Forum Dortmund bereits 2021 gemeinsam immer zum Tag des Grundgesetzes, das am 24. Mai 1949 in Kraft getreten ist und seitdem als Garant für Freiheit und Menschwürde das starke Fundament für die demokratische Grundordnung bildet.
Ein besonderer Kooperationspartner war für die Schulen, das Multikulturelle Forum und die Polizei der Landesverband NRW der Deutschen Sinti und Roma, dessen Vorsitzender Roman Franz in einer bewegenden Rede über das Schicksal und Leid der Sinti und Roma während der NS-Zeit in Europa berichtete. 34 Familienangehörige des heute 76-jährigen Landesverbandsvorsitzenden starben in Konzentrationslagern.
Roman Franz sprach nicht mit erhobenem Zeigefinger über die systematische Entrechtung der Sinti und Roma und über die auch von der Polizei in Dortmund organisierten Deportationen. Vielmehr gestaltete er seinen ruhig gesprochenen Rückblick auf die NS-Zeit mit einem eindringlichen Appell an Politik, Gesellschaft und Polizei, für die Sicherheit und Werte der Demokratie ein- und aufzustehen.
"Bis heute spüren wir Vorurteile, Misstrauen und strukturelle Benachteiligungen", sagte er. Das führe soweit, dass Sinti und Roma ihre familiären Wurzeln verschweigen würden. Weil sie Ausgrenzung befürchten. Roman Franz: "Wir fordern keine Sonderrechte. Wir wollen gleichberechtigt behandelt werden. Uns geht es nicht allein um den Rückblick - uns geht es um die gemeinsame Zukunft. Und es geht um ein Leben ohne Angst." Die Gäste in der Aula stimmten mit anhaltendem Applaus zu.
Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist auch die im November 2024 vom Landesverband NRW und der Landesregierung unterzeichnete Rahmenvereinbarung zum Schutz der nationalen Minderheit der Sinti und Roma.
Eine Schülerin (Khadijah, Stadtgymnasium) und ein Schüler (David, KKG) befragten Polizeipräsident Gregor Lange auf der Bühne vor den mehr als 400 Gästen zu den Aufgaben der Polizei in der Demokratie. In dem Interview bezeichnete Gregor Lange die Vertrauensförderung und den Dialog der Polizei mit einer diversen Gesellschaft als Kernaufgabe einer Polizeibehörde. Denn: "Mit Blick auf unsere Demokratie befinden wir uns 80 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft an einem besonderen Punkt. Wir können uns nicht zurücklehnen und glauben, dass unsere Freiheit nicht bedroht ist."
Als Gefahren nannte Gregor Lange u. a. politischen Extremismus, darunter auch Rechtsextremismus, Antisemitismus und den starken Anstieg rechtsextremistischer Straftaten, die zunehmend auch in der Mitte der Gesellschaft begangenen werden.
Zum dreistündigen Programm:
Besondere emotionale Momente schufen die Schülerinnen und Schüler beider Gymnasien. Zu Beginn verwandelten Jugendliche des Stadtgymnasiums das "Freiheit"-Gedicht des früheren jüdischen Stadtgymnasiasten Curt Bloch in einen Flashmob. Mit Musik und Gesang wirkte die Schulband des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums mit. Schülerinnen und Schüler der Theater AG inszenierten die Realität junger Menschen. Dabei ging es u. a. um Klimaschutz, Krieg und Frieden.
Die Schülerinnen Simaf und Jessica vom Stadtgymnasium stellten in einem ergreifenden 15-minütigen Vortrag mit gefühlvoller und präziser Sprache die Ausstellung "Der Völkermord an den Sinti und Roma" vor. Die Ausstellung ist noch bis zum 13. Juni 2025 im Polizeipräsidium zu sehen. Die Worte der beiden Schülerinnen passte gut zu der Musik der Band "Fatli Krause & Friends", die u. a. mit Musik des Sinto und Komponisten Django Reinhardt das Programm begleiteten. Simaf und Jessica: "Wir wussten nicht, wie schwer es sein kann, eine Ausstellung zu besichtigen", sagten sie zu Beginn ihrer Präsentation und setzten fort (Auszüge):
"Musiker, Kinder und Familien trugen keine Namen mehr, sondern nur noch Etiketten. Wir fragen uns: Wie kann es sein, dass das Leid der Sinti und Roma nicht in unseren Geschichtsbüchern steht. Warum wissen so viele nicht davon? Warum wurde dieses Leid so lange nicht ernstgenommen? Das war ein geplanter, ein organisierter, ein gewollter Völkermord. Nichts davon steht in unseren Lehrbüchern. Alles wurde geleugnet. Nichts davon anerkannt. Auch die Nachkriegsgesellschaft hat weggeschaut ... Das alles begann nicht mit Deportationen oder Konzentrationslagern, sondern mit einem schiefen Blick. Mit einem 'Du gehörst hier nicht hin`. Minderheiten wurden zum Sündenbock. Plötzlich war es normal sie auszugrenzen, zu kontrollieren zu verfolgen ... bis sie nicht mehr da waren. Dieses Leid kann man nicht ablegen wie ein verschmutztes Hemd. Wir müssen uns versprechen, dass wir uns erinnern - auch, wenn es weh tut. Diese Ausstellung ist keine Exkursion oder ein Ausflug, sondern eine Einladung mutig zu sein. Geschichte ist nicht vorbei, nur weil das Datum vergangen ist. Geht in die Ausstellung. Lest die Namen und fühlt mit. Fragt Euch, was es heute heißt Verantwortung zu übernehmen."
Am Ende ihres Vortrags beschlossen Simaf und Jessica, für die 34 Familienangehörigen von Roman Franz und alle Opfer des nationalsozialistischen Terrors eine Schweigeminute einzulegen.
Polizeipräsident Gregor Lange: "Die Schülerinnen und Schüler des Stadtgymnasiums und des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums haben unseren Tag der Werteorientierung mit eigenen Worten und Gedanken zu einer einzigartigen Veranstaltung gemacht. Da sind Tränen geflossen. Es waren Jugendliche, die uns gezeigt haben, dass sie die Zukunft nicht ohne die richtigen Schlüsse aus der Geschichte gestalten möchten. Das zeigt, wie wertvoll die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen ist."
Schulen und andere Organisationen und Bürgerinnen und Bürger können die Ausstellung noch bis zum 13. Juni 2025 montags bis freitags besichtigen. Kontakt und Terminabsprachen: dialog.dortmund@polizei.nrw.de
Die Ausstellung ist eine Leihgabe des Dokumentationszentrums Deutscher Sinti und Roma (Sitz in Heidelberg).
Journalisten wenden sich mit Rückfragen bitte an:
Polizei Dortmund
Peter Bandermann
Telefon: 0231-132-1023
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