Crash Kurs zum Auftakt der Hemeraner Sicherheitstage

Mit einem Crash Kurs der Polizei starteten heute Vormittag die Hemeraner Sicherheitstage im Sauerlandpark. Bevor Rettungskräfte am Wochenende ihre Einsatzfähigkeit beweisen und Geräte vorführen, gab es für rund 300 Schülerinnen und Schüler heftige Szenen aus dem Alltag der Retter. 300 Schülerinnen aus dem Woeste-Gymnasium, der Lehrwerkstatt Hemer, des Friederike-Fliedner-Berufskollegs und der Europa-Schule Hemer ließen sich heute Morgen im ehemaligen Casino am Sauerlandpark die Folgen schlimmer Unfälle vor Augen führen. Es waren alles Szenen aus dem Märkischen Kreis - "möglicherweise vor eurer Haustür", wie Polizeihauptkommissarin Julia Buhrow-Loks in ihrer Begrüßung formulierte. Sie gehört zum Team der Verkehrsunfallprävention der Polizei MK und berät Opfer von Verkehrsunfällen. Dabei stimmten nicht allein die Bilder auf der Leinwand nachdenklich: Unzählige, oft zur Unkenntlichkeit verbeulte, von Helfern umzingelte Blechknäuel, Rettungsfahrzeuge und -hubschrauber zeugen von dem Kampf der Feuerwehrleute, Sanitäter und Ärzte um das Leben eines Menschen. Dazu spielte das Lied "Geboren um zu leben". Noch eindrücklicher war, was Helfer und Opfer anschließend auf der Bühne schilderten: Ungeschminkt, ungeschönt, hart, unzensiert und sehr nah. Das gehört zum Konzept der Crash Kurse, wie sie die Polizei in ganz NRW durchführt. Als Erste betritt eine heute 24-jährige Polizeibeamtin die Bühne im ehemaligen Casino und berichtet von ihrem letzten Arbeitsstag vor zwei Jahren in Menden. Sie und ihr Kollege erreichen vor allen anderen Rettungskräften einen Unfallort. Ein junger Motorradfahrer liegt mit völlig verdrehtem Unterkörper und offenem Knochenbruch im Graben. Er hat auf einem Rad fahrend zwei Pkw überholt. Die Polizeikommissarin versucht, ihn bei Bewusstsein zu halten. Als ihn ein Rettungshubschrauber abtransportiert und ein Verkehrsunfall-Aufnahmeteam die Spuren gesichert hat, sammelt die Beamtin seine Habeseligkeiten ein. Auf dem zersplitterten Display seines Smartphones sieht sie, wie viele offenbar inzwischen versucht haben, den jungen Mann zu erreichen. Ein Iserlohner Feuerwehrmann (29 Jahre) erzählt, wie er abends um 22.30 Uhr zu einem Unfall an der Mendener Straße gerufen wird. Mit hoher Geschwindigkeit hatte ein Pkw ein auf der Straße drehendes Taxi gerammt. Der Taxi-Fahrer erleidet lebensgefährliche Verletzungen. Zeitweise arbeiten 30 Rettungskräfte Hand in Hand, Polizei nicht eingerechnet. Wenn er heute an dem Ort vorbeikommt, frage er sich immer wieder: "Was wäre, wenn ich da entlang gefahren wäre?" Ein bitterer Beigeschmack bleibt bei dem Feuerwehrmann: "Es gab Hunderte von Gaffern, die gefilmt und fotografiert und unsere Einsatzfahrzeuge behindert haben." Deshalb bittet seine Zuhörer, einen großen Bogen um solche Unfallstellen zu machen. Und: "Wenn ihr mit Leuten fahrt, die rasen: STEIG AUS!" Ein Notfallsanitäter (29) schildert einen Einsatz auf der Straße zwischen Halver und Wipperfürth: An einer Kurve liegt ein Pkw im Graben. Die Retter zerschlagen die Frontscheibe, um den nach Luft ringenden Fahrzeuginsassen herauszuziehen. Mehrmals reanimieren sie ihn. Der Mann stirbt trotzdem an seinen multiplen Verletzungen. Der Fahrer bleibt fast unverletzt. "Wer hat wohl auf die beiden gewartet?" Diese Frage stellt sich der Notfallsanitäter nachher öfter. "Ihr habe die Verantwortung für euch und das Leben anderer." Ein erfahrener Seelsorger tritt auf die Bühne und schildert einen schlimmen Unfall in Balve, vor wenigen Jahren. Zwei junge Frauen verteilten Geburtstags-Einladungen. Die Fahrt endet an einem Baum, die 17-jährige Beifahrerin stirbt. Am Abend stehen er und ein Polizeibeamter vor der Haustür der Familie und sollen Vater, Mutter, Großeltern und Bruder erklären, was passiert ist. "Ihr und wir haben es in der Hand", mahnt der Notfall-Seelsorger, an die jungen Zuhörer im alten Casino gerichtet. Ein Sekundenbruchteil der Ablenkung reicht - vielleicht, weil das Handy eine Message meldet. Und schon endet ein Leben. Als Letzter rollt ein Referent im Rollstuhl auf die Bühne: Er hält das kaputte Kennzeichen seines Motorrades in die Luft. "Genauso zerbeult ist mein Leben." Er bittet die Jugendlichen, die Augen zu schließen und sich folgendes vorzustellen: "Du wachst in einem fremden Raum auf. Du weißt nicht, wo du bist und was passiert ist. Um dich piept es. Überall führen Schläuche in dich hinein. Durch eine Maske wird Luft in dich hereingepumpt. Es riecht eklig und schmeckt nach Plastik. Deine Schneidezähne fehlen. Deine Arme hängen an Drähten. Deine Beine reagieren nicht ..." So schildert er die Monate nach seinem Unfall in Lüdenscheid. Und dass er nicht weit entfernt davon war, sich das Leben zu nehmen. Er appelliert an die Zuhörer, Freunde nicht fallenzulassen, die durch einen Unfall ihr "altes" Leben verloren haben. Ein Fehler, eine Unachtsamkeit, eine Leichtsinnigkeit und schon enden Leben oder verändern sich für immer. Im 300-köpfigen Auditorium herrscht betretenes Schweigen. Die Schüler verlassen den Saal. Guido Bloch, Leiter der Direktion Verkehr der Polizei MK, stellt nachher im Kreis der Mitarbeiter fest: "Der Crash Kurs ist eines unserer besten Instrumente." Wie viele Tote oder Schwerverletzte dieser Morgen verhindert hat, weiß niemand. Und doch bleibt die Hoffnung. (cris) Rückfragen von Medienvertretern bitte an: Kreispolizeibehörde Märkischer Kreis Pressestelle Polizei Märkischer Kreis Telefon: +49 (02371) 9199-1220 bis -1222 E-Mail: pressestelle.maerkischer-kreis@polizei.nrw.de