Erst checken, dann chatten! – Jugendliche Handynutzer als Opfer und Täter


09.10.2020, PP Oberbayern Süd
Erst checken, dann chatten! - Jugendliche Handynutzer als Opfer und Täter
ROSENHEIM. Die Verbreitung von gewaltverherrlichenden und sexualisierten Inhalten über Chats, Messenger und soziale Medien steigt unaufhörlich. Dabei werden immer mehr kindliche und jugendliche Smartphone-Nutzer sowohl zu Opfern als auch zu Tätern. Oft ist dieser Altersgruppe nicht bewusst, dass hinter einem versandten Bild oder Video ein reales Gewaltverbrechen wie sexueller Missbrauch oder eine andere strafbare Handlung stehen kann. Das Polizeipräsidium Oberbayern Süd hat deshalb ein altersgerechtes Präventionskonzept für Schülerinnen und Schüler entwickelt.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd verzeichnet in den vergangenen Jahren einen deutlichen Anstieg bei den Fallzahlen, in denen Jugendliche bei der Benutzung von Smartphones Opfer und gleichermaßen Täter von gewaltverherrlichendem oder sexualisiertem Bildmaterial im Internet werden. Im Jahr 2019 wurden im südlichen Oberbayern insgesamt 250 Ermittlungsverfahren wegen des Verbreitens pornografischer Schriften in WhatsApp-Gruppen geführt. Dadurch kam es zu einer deutlichen Steigerung von 69 % im Vergleich zum Jahr 2018 (148).
Kinderpornos, Tierpornos, Hakenkreuze in Schüler-Chatgruppen
"Erst checken, dann chatten!" rät das Polizeipräsidium Oberbayern Süd vor allem der jungen Smartphone-Generation
In den meisten Ermittlungsverfahren wurden als Verbreiter Kinder und Jugendliche identifiziert, die meist in Chatgruppen von Schulklassen strafbare Inhalte verteilten. Diese Inhalte bestanden dabei aus kinderpornografischen oder tierpornografischen Videos und Bildern. Weiteres verfassungswidriges Bildmaterial wie Hakenkreuze, der Hitlergruß oder fremdenfeindliche Inhalte waren ebenfalls Bestandteil verschiedener Chatgruppen. Erschreckend ist das Alter der Gruppenmitglieder: vornehmlich zwischen 12 und 17 Jahren.Beispielsweise an einer Mittelschule machten in Chatgruppen der achten und neunten Klassen Kinder- und Tierpornos die Runde. Das Ergebnis: Straf- und Ermittlungsverfahren gegen zehn beschuldigte Jugendliche und strafunmündige Kinder wegen Verbreitung von pornografischen sowie gewalt- und tierpornografischen Schriften, die gegen die drei Hauptverbreiter mit erzieherischen Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz endeten. Damit verbundene Konsequenzen: Sicherstellung und kriminalpolizeiliche Untersuchung aller Smartphones der beteiligten Mitglieder der Chatgruppen, aufgewühlte Eltern und Lehrer, sozialtherapeutische Betreuung von traumatisierten Schülerinnen und Schülern, disziplinarische Maßnahmen an der Schule bis hin zum Schulwechsel.Viel schwerer wiegen jedoch die damit verbundenen Folgen für die Opfer: Angst, Scham, Traumatisierung, Schlaflosigkeit und Probleme im Alltagsleben.
„Ich liebe Dich - Schick mir doch mal ein Bild von Dir“

Bedeutend erschreckender entwickelt sich ein anderes Phänomen unter Jugendlichen: der Versand von eigenen Nacktbildern oder sogar Videos mit sexuellen Handlungen über Messengerdienste und soziale Medien. Oft stellt sich folgender, als beispielhaft geschilderter Tatablauf dar. Ein 14-jähriges Mädchen ist verliebt in einen 16-jährigen Jungen. Aus Liebe schickt sie ihm ein Nacktfoto von sich und denkt dabei nicht an die Folgen. Wenige Wochen später beendet sie die Beziehung zu ihm. Da „Er“ nicht damit einverstanden ist, erpresst er „Sie“ damit zu sexuellen Handlungen. Andernfalls würde er das Nacktfoto von ihr, das er nach wie vor auf seinem Handy hat, über soziale Medien oder Chats verbreiten.Noch gravierender sind Fälle, in denen die Opfer ihren vermeintlichen Partner oder ihre Partnerin nur über das Internet kennen, quasi eine Cyber-Beziehung führen, ohne sich jemals persönlich kennengelernt zu haben. Im Chatverlauf kommt es dann irgendwann zum gegenseitigen Austausch von persönlichen Fotos, sogar Nacktfotos. Der oder die Täter am anderen Ende der Internetleitung fordern dann immer mehr, bis zu Videos von sexuellen Handlungen der Opfer an sich selbst. Ansonsten, so drohen die Täter, werden die bereits verschickten Fotos offen ins Internet gestellt oder über soziale Medien geteilt. So erst kürzlich geschehen im Landkreis Traunstein. Ein jugendliches Mädchen verfügt über einen öffentlichen Account eines weltweit bekannten sozialen Mediums. Über die damit verbundene Chatfunktion erhielt sie vor geraumer Zeit Nachrichten eines angeblichen „Jason“ (Anm. Name geändert), mit dem sie sich in der Folge eine Cyber-Beziehung entwickelte. In einem Video-Chat mit „Jason“ nahm das Mädchen schließlich sexuelle Handlungen an sich selbst vor. Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: „Jason“ hatte das Video aufgezeichnet, bedrohte und erpresste die Teenagerin damit in der Folge. Wenn sie ihm nicht mehr solche Videos zukommen lasse, werde er alle bisherigen Bilder und Videos über das Internet und soziale Medien verbreiten, um der Welt zu zeigen, was sie für ein schlechter Mensch sei. Das Mädchen vertraute sich schließlich ihren Eltern an und erstattete Anzeige bei der Polizei. Solche oder ähnlich gelagerte Fälle erreichen die zuständigen Fachkommissariate der Kriminalpolizeidienststellen beinahe täglich. Den Tätern, die meist anonymisiert aus dem Ausland agieren und die es auf Gelderpressung angelegt haben, werden die Ermittlungsbehörden kaum habhaft. Gleiches gilt für die verschickten Fotos und Videos, die auf ausländischen Computerservern gespeichert und zur Weiterverbreitung gelagert sind.
Polizeiliche Prävention in den Schulen - Tipps für Eltern

Zusammen mit den Jugendbeamtinnen und -beamten der örtlichen Polizeiinspektionen hat das Polizeipräsidium Oberbayern Süd kürzlich zielgerichtete Präventionsmaßnahmen erarbeitet, um vor allem die junge Generation auf die hohen Gefahren aufmerksam zu machen, die mit dem unüberlegten Umgang mit gewaltverherrlichenden oder sexualisierten Inhalten verbunden sind. Hauptsächlich in weiterführenden Schulen werden die Jugendbeamtinnen und -beamten bei Bedarf Vorträge halten und die Jugendlichen in Gesprächen auf die Folgen der Verbreitung von solchen Inhalten hinweisen.
Für die Eltern von jungen Smartphone-Nutzern hat die Polizei folgende Tipps zur Hand:• Seien Sie Partner Ihres Kindes und bieten Sie sich als vertrauens- und verständnisvoller Ansprechpartner an, sollte doch mal etwas schiefgelaufen oder etwas Unerwünschtes auf dem Handy gelandet sein.• Sprechen Sie offen mit Ihren Kindern über die Gefahren und Folgen, die im Zusammenhang mit dem Verbreiten von pornografischen oder strafbaren Inhalten stehen und dass auf einmal versandte Fotos oder Videos kein Einfluss mehr besteht.• Zeigen Sie Ihren Kindern auf, welche psychischen Folgen vor allem für die Empfänger und Opfer von pornografischen oder strafbaren Inhalten entstehen können (Angst, Scham, Schlaflosigkeit, Probleme im Alltagsleben usw.).• Nutzen Sie Beratungs- und Hilfsangebote (Jugendsozialarbeit, Jugendamt, örtliche Polizeiinspektion, etc).
Linksammlung www.polizeifürdich.deWeitere Infos der Polizei, rund um das Thema Smartphone/Internet für junge Menschen, Eltern und Pädagogen gibt es unter www.polizeifürdich.de