Festnahme des mutmaßlichen Verfassers der Drohschreiben im Ermittlungskomplex „NSU 2.0“ / Ankündigung eines Pressetermins der Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamtes am 05.05.2021
Gemeinsame Presseinformation der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main und des Hessischen Landeskriminalamtes und Ankündigung eines Pressetermins der Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamtes am 5. Mai 2021, 14:00 Uhr, bei der Staatsanwaltschaft, Konrad-Adenauer-Straße 20, 60313 Frankfurt, Raum 501 C
1.
Im Rahmen der Ermittlungstätigkeit des Hessischen Landeskriminalamts, AG 211, konnte durch Überwachung und Auswertung relevanter Blogs und rechtspopulistischer Foren im Internet auf der Plattform "PI-News" ein User festgestellt werden, dessen Beiträge in Form und Duktus der Äußerungen Ähnlichkeiten mit den Drohschreiben des sogenannten "NSU 2.0" aufwiesen.
Linguistische Begutachtungen der Tatschreiben des "NSU 2.0" im Abgleich mit mehreren Kommentatoren auf der rechtspopulistischen Internetplattform "PI-News" durch das sprachwissenschaftliche Institut des Bundeskriminalamtes führten im Ergebnis zur Feststellung einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit der Autorenübereinstimmung.
Über Internetrecherchen konnte auf einer Schachplattform ein Profil festgestellt werden, welches namensgleich auch in dem rechtspopulistischen Forum "PI-News" aktiv ist. Auffällig war dabei, dass in beiden Foren als Profilbild dieselbe Comicfigur Verwendung fand. Darüber hinaus konnten auf Grund der Nutzung der gleichen IP-Adresse sowie der Feststellung wortgleicher Beleidigungen in der Chatfunktion der Schachplattform weitere Profile ermittelt werden, die mutmaßlich demselben Nutzer zuzuordnen sind. Sowohl aus den Kommentaren bei "PI-News" als auch aus einer Ortsangabe auf der Schachplattform konnte ein Berlinbezug - wie in einigen Drohschreiben auch - hergeleitet werden.
Aufgrund dieser Übereinstimmungen war davon auszugehen, dass hinter den PI-News-Kommentatoren und den Nutzern der Schachplattform dieselbe Person steht, die auch die Drohschreiben unter Verwendung des Kürzels "NSU 2.0" verfasst.
2.
Anfragen bei dem Betreiber der Schachplattform zu den besagten Profilen und in der Folge durchgeführte Bestandsdatenabfragen bei Kommunikationsanbietern führten zur Identifizierung des Beschuldigten und dessen Wohnanschrift.
Im Rahmen der Erhebung von Verkehrsdaten konnten die über die Schachplattform in Erfahrung gebrachten IP-Adressen der relevanten Profile / Nutzer beim Provider einem Anschluss zugeordnet werden. Eine durchgeführte Anschlussinhaberfeststellung führte zu dem Be- schuldigten.
3.
Sowohl aus den Drohschreiben als auch aus den Kommentaren der dem Beschuldigten zugeordneten Profile bei "PI-News" ergaben sich unzählige Bezüge und eine eindeutige Fokussierung auf den Standort Berlin und dort auf bestimmte Stadtteile. Auffällig war, dass es sich hierbei um das direkte Wohnumfeld des Beschuldigten handelte. Weiterhin deuteten die relevanten PI-News-Kommentatoren immer wieder an, die Kindheit und Jugendzeit in der ehemaligen DDR verbracht zu haben, wo auch der Beschuldigte aufgewachsen ist.
4.
Nach einer Ersteinschätzung der Sprachwissenschaftler des Bundeskriminalamtes handelt es sich bei den Angaben des Beschuldigten aus einem früheren Ermittlungsverfahren und den Drohschreiben um denselben Autor. Daraufhin wurde ein sprachwissenschaftliches Gutach- ten beim Bundeskriminalamt in Auftrag gegeben.
Darüber hinaus gibt es signifikante Übereinstimmungen zwischen den umfangreichen Eingaben des Beschuldigten im Rahmen einer Korrespondenz mit dem Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin.
In den Eingaben führte der Beschuldigte unter anderem aus, wie man bei Behörden unter missbräuchlichem Vorgehen personenbezogene Daten erheben könne und dass er dies auch schon getan habe. Hier nennt er fingierte Anrufe bei Behörden als angeblicher Behördenmitarbeiter. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass der Beschuldigte sich im Jahre 1992 als Krimimalbeamter ausgab und insoweit auch wegen Amtsanmaßung rechtskräftig verurteilt worden ist.
Ferner steht der Beschuldigte im Verdacht, Anfang 2017 einen Würzburger Rechtsanwalt telefonisch bedroht zu haben. Dabei nannte der Anrufer die Privatanschrift des Rechtsanwalts und gab zu erkennen, dass er von seinen beiden Kindern wisse.
Hintergrund für die Bedrohung dürfte die Vertretung eines syrischen Flüchtlings durch diesen Rechtsanwalt gewesen sein. Dessen Mandant wurde durch ein medienwirksames Selfie mit der Bundeskanzlerin in einem Flüchtlingsheim im Jahre 2015 bekannt, in dessen Folge er öffentlich angefeindet wurde.
Der Würzburger Rechtsanwalt ebenso wie die geschädigte Rechtsanwältin aus Frankfurt am Main standen medial auf Grund ihrer in der Öffentlichkeit teilweise kontrovers diskutierten anwaltschaftlichen Vertretungen im Fokus, was als Anreiz für den Beschuldigten gewirkt haben könnte. Beide wurden zunächst anonym - telefonisch oder per Fax - unter der Nennung nicht öffentlich zugänglicher privater Daten bedroht.
5.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Punkte erscheint es naheliegend, dass der Beschuldigte unter der Vorgabe, Bediensteter einer Behörde zu sein, telefonisch bei Polizeidienststellen nicht frei recherchierbare personenbezogene Informationen aus den Droh- schreiben in Erfahrung gebracht hat, was in der Folge die festgestellten Datenabfragen bezüglich der Hauptgeschädigten auf dem 1. Polizeirevier in Frankfurt am Main, auf den Wiesbadener Revieren 3 und 4 sowie auf den betroffenen Revieren in Berlin plausibel erscheinen lässt.
Untermauert wird diese Hypothese durch die Tatsache, dass in den Drohschreiben auch auf Anrufe bei der Chefredakteurin der taz in Berlin Bezug genommen wird. In einem bei dieser eingegangenen Anruf gab sich eine männliche Person als Polizist des Abschnitts Berlin / Wedding aus, um so an die Mobilfunknummer einer weiteren Geschädigten zu gelangen.
Insgesamt ergibt sich aus den vorstehend skizzierten Erkenntnissen ein dringender Tatverdacht dafür, dass es sich bei dem Beschuldigten um den Verfasser und Absender der verfahrensgegenständlichen Drohschreiben handelt.
Am 14. April 2021 wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten eingetragen. Am Folgetag beantragte die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Beschlüsse zur Durchführung strafprozessualer Maßnahmen. Am 23. April 2021 erließ das Frankfurter Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl unter anderem wegen Volksverhetzung, Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Bedrohung sowie Beleidigung mit dem Haftgrund der Fluchtgefahr.
Am Abend des 3. Mai 2021 wurde der Beschuldigte in seiner Wohnung in Berlin durch Kräfte des Mobilen Einsatzkommandos des Hessischen Landeskriminalamts festgenommen und der Durchsuchungsbeschluss vom 15. April 2021 vollstreckt. Im Rahmen des Zugriffs konnten eine einsatzbereite Schusswaffe sowie umfangreiche Computerhard- und Software sichergestellt werden. Die Auswertung hierzu dauert an.
Der Beschuldigte wurde im Laufe des Tages dem Haftrichter beim Amtsgericht Berlin Tiergarten vorgeführt, der auf Antrag der Staatsanwaltschaft den Haftbefehl in Vollzug gesetzt hat.
--------------------------- Am 5. Mai 2021 wird Pressevertreterinnen und Pressevertretern in der Zeit von 14:00 Uhr bis 16:00 Uhr in den Räumlichkeiten der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main, Konrad-Adenauer-Straße 20, 60313 Frankfurt, Raum 501 C, Gelegenheit zu O-Tönen gegeben werden. Es wird um Verständnis gebeten, dass aufgrund der Pandemielage und der begrenzten räumlichen Verhältnisse nur eine beschränkte Anzahl von Teilnehmerplätzen zur Verfügung steht. Um Anmeldung unter
pressestelle@sta-frankfurt.justiz.hessen.de wird gebeten. Es wird davon ausgegangen, dass alle Teilnehmenden über einen aktuellen negativen Coronatest verfügen und während der Veranstaltung durchgängig Masken tragen.
Rückfragen bitte an:
Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main
Pressesprecherin Oberstaatsanwältin Niesen
Tel.: 069/1367-8450
Mail: pressestelle@sta-frankfurt.justiz.hessen.de