Verfassungsschutzbericht 2020: Rechtsextremisten und Reichsbürger machen sich Corona-Demos zunutze

Landesinnenminister Christian Pegel stellte heute in einer Online-Pressekonferenz den Verfassungsschutzbericht 2020 des Landes Mecklenburg-Vorpommern vor. Der Bericht beleuchtet neben der rechts- und linksextremistischen Szene sowie dem Islamismus im Nordosten erstmals den Einfluss der Corona-Pandemie auf die Aktivitäten antidemokratischer Gruppierungen, die im Visier des Verfassungsschutzes stehen. "In Zeiten besonderer gesellschaftlicher Herausforderungen haben Extremisten Hochkonjunktur. Wie schon bei der Flüchtlingswelle 2015/2016 versuchen sie, eine Ausnahmesituation, die viele Menschen bewegt, zu nutzen, um Anschluss an die bürgerliche Mitte zu finden. Wir sehen bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen weit überwiegend Menschen aus der bürgerlichen Klientel, die friedlich vom fest in der Demokratie verankerten Demonstrationsrecht und ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen", sagte Christian Pegel und betonte: "Es geht den Verfassungsschützern nicht um diese große Menge der Menschen, die ihren Sorgen und Nöten auch mit Kritik an der Regierung friedlich Ausdruck verleiht. Es geht um einzelne Personen und kleinere Gruppierungen, die extremistischen Szenen zuzuordnen sind. Es geht es darum, Gewaltaufrufen und Angriffen gegen die Demokratie entgegen zu wirken." Der Innenminister sagte weiter: "Die Kritik dieser Extremisten an der Politik und den Corona-Maßnahmen geht weit über das legitime Maß hinaus. Sie bedrohen und hetzen gegen staatliche Institutionen und ihre Vertreter. Sie fordern einen radikalen Wandel von Staat und Gesellschaft abseits demokratischer Prozesse. Sie sehen in den aktuellen Protesten ,revolutionäres Potenzial' und erhoffen nicht zuletzt, neue Mitglieder und Anhänger zu gewinnen. Hier sammeln sich sogenannte Querdenker, Verschwörungstheoretiker und andere, denen es unabhängig von der aktuellen Corona-Lage darum geht, die demokratischen Grundprinzipien unseres Landes - die parlamentarische Demokratie und das Gewaltmonopol des Staates - zu diskreditieren." Diese Akteure seien nicht zwingend dem Rechts- oder einem anderen klassischen Extremismus zuzuordnen: "Sie agieren eher ideologieübergreifend oder -unabhängig. Wegen ihrer Ziele und aggressiven Wege wird diese Bewegung seit 2021 bundesweit als ,Demokratiefeindliche oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates' beobachtet." Christian Pegel warnt in diesem Zusammenhang: "Hier liegt eine Gefahr, der sich jeder einzelne Teilnehmer der Demos bewusst sein und von der er sich ganz klar abgrenzen muss." Den Schwerpunkt in der Beobachtung durch den Verfassungsschutz nahmen 2020 wie schon in den Vorjahren rechtsextremistische Bestrebungen ein, die weiterhin zunehmen: "Auch die Rechtsextremisten versuchen, sich die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen zunutze zu machen", sagte Christian Pegel und führte aus: "Sie nahmen - und nehmen - an den Demonstrationen teil - und nutzen dann soziale Netzwerke und Messengerdienste, um darüber zu berichten und den Untergang des ihnen verhassten Systems zu beschwören. Sie verbreiten dort demokratiefeindliche Inhalte und mobilisieren für die eigenen Bestrebungen." Der Ton werde dabei zunehmend aggressiver und menschenverachtender. Verschwörungstheorien und ein zunehmender Antisemitismus seien kennzeichnend für diese Entwicklung. Die Verfassungsschützer konstatieren für 2020 einen weiteren Anstieg der Anhänger rechtsextremistischer Ideologien. "Im Bereich der Parteien wie ,Der III. Weg', ,Der Flügel' oder ,Junge Alternative' stiegen die Zahlen nur leicht bzw. gingen bei der NPD zurück, auf insgesamt etwa 400. Es steigt aber die Zahl derer, die - ohne einer Partei oder anderen Organisation zuzuordnen zu sein - rechtsextremistischem Gedankengut anhängen", so Pegel. Deren Zahl war 2020 mit ca. 1.360 Personen fast viermal so hoch wie der der organisierten Rechtsextremisten. Von den insgesamt knapp 1.800 Rechtsextremisten bei uns im Land stufen unsere Verfassungsschützer ca. 700 als gewaltorientiert ein", äußerte sich der Innenminister besonders besorgt. Auch während der Pandemie beschränkten sich die Rechtsextremisten in M-V aber nicht auf ihre Anwesenheit bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen und im Internet. "Sie praktizierten auch 2020 ihnen wichtige Rituale wie ihr ausschließliches Gedenken der deutschen Opfer am Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs an verschiedenen Orten bei uns im Land", nannte Christian Pegel ein Beispiel. Die rechtsextremistische Kampfsportszene hingegen habe Events wie zum Beispiel den "Kampf der Nibelungen" als Live-Stream ins Internet verlegt, sei aber dort rege aktiv. Ein wichtiger Schlag gegen die rechtsextremistische Szene stellt das Vereinsverbot des sog. Aktionsblog mit seiner Kampfsportgruppierung "Baltic Korps" dar. Mit dem Verbot konnten der aktivsten Kameradschaft in Mecklenburg-Vorpommern, die auch weitreichende Kontakte ins gesamte Bundesgebiet besaß, weitere Strukturierungsmöglichkeiten entzogen werden. Auch die Reichsbürgerszene profitiert den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes zufolge von den Corona-Protesten. "Die Ablehnung der politischen Entscheidungen zu den Corona-Maßnahmen bringt viele Menschen über die Nutzung alternativer Informationskanäle mit den Denkmustern der Reichsbürger in Berührung. Und auch die Reichsbürger nutzen die Demonstrationen, um dort ihre Verschwörungstheorien zu verbreiten", sagt Christian Pegel. Gleichzeitig schwänden frühere ideologische Abgrenzungen zwischen Rechtsextremisten und Reichsbürgern und führten so zu einer teilweisen Überschneidung. Im Gegensatz zum Rechtsextremismus gingen Straftaten und Personenzahl im Linksextremismus 2020 zurück - letztere von 500 auf 480, von denen die Hälfte als gewaltbereit eingestuft wird. "Dafür dürften insbesondere die durch die Pandemie eingeschränkten Aktionsmöglichkeiten und der Ausfall von Großveranstaltungen ein wichtiger Grund sein", sagte Pegel. Größte Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik ist nach dem Rechtsterrorismus der Islamismus. "Bei uns in Mecklenburg-Vorpommern gibt es nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes nur wenige bedeutsame organisierte islamistische Strukturen und so wie im Vorjahr etwa 190 Islamisten, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden". Zwei Festnahmen von Islamisten wegen der Planung terroristischer Straftaten im Jahr 2021 machen jedoch deutlich, dass dieser Phänomenbereich auch hier im Land einer intensiven Bearbeitung durch die Sicherheitsbehörden bedarf", so Christian Pegel, der seit November 2021 Innenminister ist. Den Verfassungsschutzbericht 2020 finden Sie online unter https://www.verfassungsschutz-mv.de/publikationen/. Rückfragen bitte an: Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern Telefon: 0385/5882003 E-Mail: presse@im.mv-regierung.de